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Vorlage - 233/2015  

 
 
Betreff: Einrichtung und Bezuschussung der Fachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt des Kinderschutzbundes Kreisverband Soest
Status:öffentlichVorlage-Art:Beschlussvorlage - öffentlich
Federführend:51 Jugend und Familie   
Beratungsfolge:
Jugendhilfeausschuss
23.11.2015 
Jugendhilfeausschuss ungeändert beschlossen   
Kreisausschuss
08.12.2015 
Kreisausschuss ungeändert beschlossen   
Kreistag
17.12.2015 
Kreistag ungeändert beschlossen   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt

Die Verwaltung wird beauftragt, mit dem Kinderschutzbund Kreisverband Soest eine Vereinbarung zur Unterhaltung einer Fachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt abzuschließen.

 


III. Zusammenfassung

 

  1. Der JHA hat mit Beschluss vom 13.11.2014 die Einrichtung einer Fachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt festgelegt und die Verwaltung beauftragt, ein Konzept für die Errichtung einer Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt in Zusammenarbeit mit dem Kinderschutzbund Kreisverband Soest zu erarbeiten.

 

  1. Der Kinderschutzbund Kreisverband Soest ist als Träger der Fachberatungsstelle qualifiziert, da er alle Voraussetzungen erfüllt, die aus Jugendhilfesicht erforderlich sind, um Kinder und Jugendliche in Notsituationen anzusprechen. Insbesondere die bereits von diesem Träger etablierte Nummer gegen Kummer ist geeignet, einfache Zugänge für Betroffene zu schaffen.

 

  1. Die Förderung erfolgt als Festbetragszuschuss.

 

Die städtischen Jugendämter Soest und Warstein entrichten Entgelte/Fallpauschalen für Klientel aus ihrem Zuständigkeitsbereich, die beim Kreisjugendamt Soest vereinnahmt werden.


IV. Sachdarstellung

 

In Deutschland gibt es jährlich etwa 13 000 Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, die bekannt werden. Die Dunkelziffer liegt nach Ansicht von Experten etwa 5 bis 10 mal so hoch.

 

Exakte, wissenschaftlich fundierte Zahlen zur sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugend­liche in Deutschland, liegen, aufgrund fehlender Forschung, nicht vor. Wissenschaftlich gesichert erscheint heute durch Untersuchungen in den USA und Europa, dass jedes dritte bis vierte Mädchen und jeder siebte bis achte Junge sexuelle Übergriffe erfährt.[1]

 

Aus der Statistikrecherche ist zusammenfassend festzuhalten:

  • Es gibt eine große Heterogenität in internationalen Studien zu sexuellem Missbrauch gegenüber Kindern und Jugendlichen.
  • In europäische Studien zur Prävalenz sexueller Gewalt gegen Kinder sind zwischen 6 % und 36 % der Mädchen und 1 % und 15 % der Jungen unter 16 Jahren Opfer sexueller Gewalt (Lampe 2002).
  • Ab dem Alter von 9 Jahren steigen die Prävalenzzahlen und flachen ab dem 15. Lebensjahr wieder ab (Finkelhor et al., 2009).
  • Das mittlere Alter des Beginns des sexuellen Missbrauchs liegt für Mädchen bei 9,3 Jahren (SD = 3,9) und für Jungen bei 11,3 (SD = 3,9) (Dong et al., 2003) .[2]

 

Dem aus diesen Zahlen abzuleitende Bedarf an professioneller Beratung und Begleitung der Betroffenen wird im Kreis Soest, aufgrund fehlender spezifizierter Angebote, nicht adäquat begegnet. Das hat zur Folge, dass vielen betroffenen Kindern und Jugendlichen und deren Bezugspersonen nicht zeitnah oder gar nicht geholfen wird. Die Auswirkungen einer Nicht-Behandlung sexueller Gewalterfahrungen können gravierend sein. 

 

Sexuelle Gewalt gegen Kinder, erfragt bei Erwachsenen, hängt mit einer großen Reihe an verschiedenen Störungsbildern zusammen (Cicchetti & Toth, 2005). Diese sind:

  • psychische Belastung, psychische Störungen und Erkrankungen, wie z.B. Depression, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Borderline-Persönlichkeitsstörung, Somatisierungsstörung, Substanzmissbrauch, Alkoholmissbrauch, antisoziales Verhalten, Suizidalität.

Auch die sexuelle Entwicklung und die Beziehungsgestaltung sind davon betroffen. Hierzu zählen:

  • Angst vor Sexualität und Intimität, sexuelle Funktionsstörungen, viele Scheidungen, großes Misstrauen in Beziehungen sowie Reviktimisierung (vgl. Hunter, 2006; Putnam, 2003; Mullen et al., 1994).

Soziale Ängstlichkeit und Phobien und ebenfalls PTBS als Folgen von sexuellem Missbrauch in der Kindheit bei Frauen berichten ebenfalls Feerick und Snow (2005) bei einer retrospektiven Befragung von 313 Studentinnen (n = 98 mit sexuellem Missbrauch) im Alter von 17-36 Jahren.

 

Dube, Anda, Whitfield, Brown, Felitti et al. (2005) erforschten durch eine repräsentative Stichprobe die Langzeiteffekte von sexuellen Missbrauchserfahrungen in der Kindheit (N = 17.337; Männer und Frauen). Die Befunde legen für beide Geschlechter ein um denselben Faktor erhöhtes Risiko für verschiedene psychosoziale Konsequenzen nahe. Diese sind:

  • Alkoholprobleme, Drogenmissbrauch in der Vergangenheit, Suizidversuche, Depression, Heirat eines Alkoholikers, Eheprobleme und Familienprobleme.

Beide Geschlechter haben ein um das Doppelte erhöhtes Suizidrisiko bei Vorliegen von Missbrauchserfahrungen im Vergleich zu einer nicht missbrauchten Kontrollgruppe. Zudem ist das Risiko, einen alkoholabhängigen Partner zu heiraten, um 40 % erhöht.

 

Zusammenhänge werden berichtet zu:

  • Ängstlichkeit, Depression, Phobien, Paranoia, psychotische Symptome, psychische Anpassung, Suizidalität, sexuelle Anpassung, soziale Anpassung, Somatisierung, Zwangshandlungen, Feindseligkeit, interpersonelle Sensitivität, Dissoziation, Essstörungen und geringerer Selbstwert (Reihenfolge nach Rangreihe der Effektstärken).

In Studien zeigten sexuell missbrauchte Jugendliche und insbesondere Jungen signifikant mehr Verhaltensauffälligkeiten wie:

  • Alkoholmissbrauch, aggressives Verhalten, kriminelles Verhalten, Drogenmissbrauch und Schuleschwänzen.[3]

 

Aufgrund der Bandbreite und der Schwere der möglichen Auswirkungen sexueller Gewalt auf kindliche Entwicklung, ist es immens wichtig, die aktuell unversorgten Kinder und Jugendlichen und deren Familien durch adressatenorientierte Angebote anzusprechen. Frühzeitige Hilfen erreichen, dass die Kinder und Jugendlichen sich im privaten Bereich und in Institutionen wie Kindergarten, Schule und Ausbildung altersgerecht entwickeln können. Auf alle Fälle ist davon auszugehen, dass kritischen Lebensverläufen und der Notwendigkeit stärker intervenierender Jugendhilfemaßnahmen, durch frühzeitige Erreichung der betroffenen Kinder und Jugendlichen, entgegengewirkt wird. Unbearbeitete sexuelle Gewalterfahrungen bringen gesamtgesellschaftliche ökonomische Risiken mit sich und können sich negativ auf den Biografieverlauf auch der nächsten Generationen auswirken.      


Der JHA hat mit Beschluss vom 13.11.2014 die Einrichtung einer Fachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt festgelegt und die Verwaltung beauftragt, ein Konzept für eine Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt in Zusammenarbeit mit dem Kinderschutzbund Kreisverband Soest zu erarbeiten.

 

Der Kinderschutzbund Kreisverband Soest ist als Träger der Fachberatungsstelle qualifiziert, da er alle Voraussetzungen erfüllt, die aus Jugendhilfesicht erforderlich sind, um Kinder und Jugendliche in Notsituationen anzusprechen. Insbesondere die bereits von diesem Träger etablierte Nummer gegen Kummer ist geeignet, einfache Zugänge für Betroffene zu schaffen.

 

In der Jugendhilfeausschusssitzung am 01.12.2014 wurde für den Aufbau einer Fachstelle gegen sexuelle Gewalt für das Haushaltsjahr 2015 ein Zuschuss von 50.000 bereitgestellt. Die weitere Finanzierung über das Jahr 2015 hinaus sollte dann vertraglich vereinbart werden. Die Fachberatungsstelle hat nun zum 01.10.2015 ihre Arbeit mit zwei Sozialarbeiterinnen (halbe Stellen) aufgenommen. Zum 01.11.2015 komplettiert eine Psychologin die Fachberatungsstelle.

 

Die Konzeptskizze hat der 1. Vorsitzende des Kinderschutzbundes Kreisverband Soest in der JHA-Sitzung am 13.11.2014 dargelegt. Der Ausschuss stimmte den Ausführungen zu.

 

Inhaltlich sind die Aufgabenschwerpunkte der Fachberatungsstelle:

-          Erkennen/Bewusstwerden einer sexuellen Gewalterfahrung

-          Erst-/Sofortintervention      

-          Behandlung der Akutsymptomatik

 

In Lippstadt wird seit vielen Jahren ein ähnliches Angebot vorgehalten, welches durch die Stadt Lippstadt finanziert wird. Daher wurde in mehreren Gesprächen seitens der Verwaltung mit dem Kinderschutzbund Kreisverband Soest und den Leitungen der Jugendämter Soest und Warstein Folgendes vereinbart:

 

  1. Die Förderung erfolgt als Festbetragszuschuss von maximal 170.000 €. Hierin enthalten sind die erforderlichen Personal- und Sachkosten. Ein Verwendungsnachweis und eine Spitzabrechnung haben zu erfolgen.
  2. Die städtischen Jugendämter Soest und Warstein entrichten Entgelte/Fallpauschalen für Klientel aus ihrem Zuständigkeitsbereich, die beim Kreisjugendamt Soest vereinnahmt werden.
  3. Die Vereinbarung tritt am 01.01.2016 in Kraft und wird über 3 Jahre geschlossen mit einer Kündigungsmöglichkeit. Es erfolgt von Beginn an eine Evaluation mit dem Ziel, nach zwei Jahren Fallpauschalen definieren zu können, die ab 01.01.2018 Grundlage der Refinanzierung durch die Städtischen Jugendämter sind, ohne finanzielle Zuschüsse des Kreisjugendamtes.
  4. Der KSB leistet weiterhin ohne finanzielle Zuschüsse der Jugendämter Soest, Warstein und Kreis Soest mit einem Volumen von ca. 12.500 € pro Jahr die „ Nummer gegen Kummer“, die unstreitig ein guter Zugang für Kinder zu der Fachberatungsstelle ist.
  5. Der DKSB leistet aus Eigenmitteln - neben der „Nummer gegen Kummer“ -  einen 10%igen Eigenanteil durch ehrenamtliches Engagement  und Sachkosten (z. B. Supervisionen).

 


[1] Leitfaden für Ärzte, Bayrisches Staatsministerium für Arbeit, Familie und Frauen. März 2012. Gewalt gegen Kinder und    Jugendliche

 

[2] Prof. Dr. Peter Zimmermann (Celik). DJI 201. Sexuelle Gewalt gegen Kinder in Familien. Expertise im Rahmen des Projekts „Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Institutionen"

 

[3] Prof. Dr. Peter Zimmermann (Celik). DJI 2011. Sexuelle Gewalt gegen Kinder in Familien. Expertise im Rahmen des Projekts „Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Institutionen"